Page 16 - Geschichte der Deutschen in Ungarn
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1 Deutsche im mittelalterlichen Ungarn

Um 1500 wird die Zahl der Deutschen in ganz B7
Oberungarn auf ein Viertel der Gesamtbevölkerung,
nämlich 150.000 geschätzt. In dieser Zeit machte man
die Erfahrung, dass es möglich war, auf einer Reise von
Pressburg über Oberungarn nach Kaschau jede Nacht
in einer deutschen Herberge zu verbringen: „Es ist kein
Städtlein noch kein Dorf, darin nicht Teutsche wohnen“, heißt
es in einem zeitgenössischen Bericht. R A 21

Die zweite Periode der Béla IV. (1235 – 1270)
Ansiedlung im 13. Jahrhundert (Die Ungarische Bilderchronik)

Andreas II. begann im 13. Jahrhundert immer mehr Oberschicht bildeten, bestehend aus Kaufleuten,
Königsland an weltliche Grundherren zu verleihen. Handwerkern und reichen Bauern. Mit einigen
Dadurch kam es in dieser Epoche zu tiefgreifenden Ausnahmen assimilierte sich die Bevölkerung bis
Umstrukturierungen der Eigentumsverhältnisse. ins 16. Jahrhundert wahrscheinlich sprachlich.
Durch die massiven Schenkungen von Königsland, ja
ganzer Komitate an private Grundherren, verlor der König Béla IV. (1235-1270) R B 9 veränderte
König nicht nur sein Verfügungsrecht, sondern auch seine Politik nach dem Tatarensturm 1241-42. Nach
die Abgaben der bis dahin freien Bauern und auch dem vergeblichen Versuch, die von seinem Vater
die Einnahmen aus den Regalien. Als Ergebnis dieses Andreas II. verschenkten Besitztümer von den
Vorgangs entstand der Großgrundbesitz der immer Großgrundbesitzern zurück zu fordern, bezog er diese
mächtiger werdenden Barone, welche die Zentralgewalt in seine Ansiedlungspolitik mit ein, indem er ihnen
des Königs zurückdrängten, das Verfügungsrecht über das Recht verlieh, selbst Siedler anzuwerben. R A23
die auf ihrem Grund ansässigen Arbeitskräfte erlangten Die erste Urkunde dieser Art ist uns aus dem Jahr
und aufgrund ihrer neu erworbenen Immunitätsrechte 1269 überliefert. Darüber hinaus war Béla IV. bestrebt,
jetzt selbst Siedler ins Land holen konnten. aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Mongolensturm
befestigte und wehrhafte sowie wirtschaftlich
Den spürbaren Verlust an Einnahmen suchte der lebensfähige Orte zu schaffen. Ganz planmäßig ließ er
König durch die Steigerung von Handel und Gewerbe befestigte Städte entlang des Karpatenbogens erbauen.
auszugleichen. So nahm die Zahl der Verleihung von Vorrangig in der Nähe der Pässe entstand daher eine
Hospites-Rechten an Fremde und Einheimische zu, Kette deutscher Handelsstädte, die von Pressburg
vermehrte sich die Gründung von Handelsplätzen und über Tyrnau, Trentschin, Sillein, Käsmark, Leutschau,
Städten und bisher nicht erschlossenes Land wurde Kaschau und Beregsass bis nach Siebenbürgen, nach
durch neu angeworbene Siedler kultiviert. Bistritz, Kronstadt und Hermannstadt reichte.
R A22 In den 200 Jahren nach dem Mongolensturm
siedelten sich im mittleren und nördlichen Teil des Mit dieser Neuorientierung der königlichen
Königsreiches in vielen Dörfern Deutsche an, die ihr Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik strebte der
Gewohnheitsrecht mitbrachten. In vielen solcher Orte Herrscher danach, mit den freien Königsstädten eine
sind bis ins 16. Jahrhundert deutsche Familiennamen neue Finanzquelle und ein Gegengewicht zu der Macht
nachzuweisen. Das gilt auch für das von der der neu gebildeten Magnatenschicht aufzubauen.
Königin Gertrud um 1205 begründete, nach seinem R A24
Gerichtsort Vizsoly benannte deutsche Komitat im
Hernád-Tal mit 10 Dörfern, die mit Kolonisten aus
Bayern besiedelt wurden. Es ist wahrscheinlich kein
Zufall, dass ausgerechnet an diesem Ort 1590 die erste
ungarische Übersetzung der Luther-Bibel von Károli
Gáspár entstanden ist.

Die Kolonistenprivilegien erhielten auch
Einheimische, die gemeinsam mit den Deutschen
viele Dörfer aufbauten. Zahlreiche von ihnen wurden
zu Oppida-Marktflecken, in denen Deutsche die

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